Der Pfau und der Kranich
Der Pfau stritt sich einst mit dem Kranich: Wer von ihnen der
vorzüglichere Vogel sei?
"Dein Eigendünkel, brach endlich der Pfau aus, ist doch
unbegreiflich. Vergleiche nur meine Federn und die deinigen zusammen,
und ich hoffe: die Größe, die Farbe, der Glanz der
meinigen muß dich belehren -
"Alles gut! unterbrach ihn der Kranich: nur Schade, daß
diese herrlichen Federn zu einer einzigen Sache viel weniger als
die meinigen taugen!
"Und zu welcher?
"Zum Fliegen! Oder folge mir, wenn du kanst, bis zum Wolken
nach!" - Der Kranich stieg empor; der Pfau schämte sich
und blieb zurück, weil er - muste.
Daß doch niemand stolz auf kleinere
Vorzüge sei, so lange noch die größern ihm gebrechen!
Man kann unmöglich schöner sein, als Charlotte war.
Oft überhob sie sich deßen gegen ihre Gespielinen.
"Aber verstehst du auch ein Buch zu lesen? Oder der Wirthschaft
dich anzunehmen? Oder in welcher andern weiblichen Tugend hast
du dich vorzüglich geübt?"
So fragte sie einst eine andre, die weit minder schön war,
doch innere Verdienste desto reichlicher besaß. Da schwieg
Charlotte beschämt; die Gesellschaft lachte; ein braver Mann
wählte diejenige, welche gefragt hatte, zu seiner Gemahlin;
Charlotte mochte noch warten.