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Christina Prüver

Joachim Bessing: Wir Maschine

Sollte sich jemand fragen, ob die junge Generation deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich auf einer Art Sinnsuche befindet, in Joachim Bessings Roman Wir Maschine findet er die eindeutige Antwort: Ja. An der scheinbaren Oberflächlichkeit des Gegebenen zu zweifeln und zu verzweifeln ist kein neues, der zeitgenössischen deutschen Literatur eigenes Phänomen. Bessing jedoch setzt sich mit dem Seienden und dem Sollenden in einer solch fatalistischen Weise auseinander, dass weder die zusammenhanglose Aufforderung auf dem Buchumschlag "Du musst es dir marillenfarben vorstellen, hautweich und warm", noch der rosafarbene Strickpullover auf dem Autorenfoto den Leser trösten können - im Gegenteil, es macht alles nur noch schlimmer.

Wir Maschine beginnt mit einer an den Film Truman-Show erinnernden Draufsicht auf die Alltagssituationen der (Haupt)personen - dass die ganze, für die Personen scheinbar reale Umwelt in Wirklichkeit von einem Unbekannten ständig beobachtete Fiktion ist, versinnbildlicht ein aus dem Nichts hereinschwebendes Okular. Beobachtet wird: Gumbo, Mittzwanziger, inmitten seiner Welt einer Hamburger Werbeagentur. Von Barbara kürzlich aus seinem BWL-Studium in die Agentur Wildcard hinübergerettet, steckt er nun fest in seinem Job als Werbeassistent, seiner unglücklichen Beziehung zu seiner Chefin Barbara und dem Leben an sich. Gumbos Aufstieg und Fall ist eingebettet in die Geschichte von Versagern: Während in der Stamm-Osteria die Branchen-Aussteiger Alfred und Walter über ihre Mitmenschen sinnieren, ist Gumbo erst am Anfang. Begeistert von den schicken Wohnungen seiner neuen "Kollegen", seiner neuen "Freunde", von denen Alfred nur noch in der Vergangenheit lebt und besseren Zeiten als Gastwirt auf Ibiza zehrt, ein menschliches, alkoholabhängiges Wrack.

Abhängigkeiten und Abgründe

Der Leser verfolgt gemeinsam mit dem auktorialen Erzähler, wie die einzelnen Figuren im Dunstkreis des Wildcard-Mikrokosmos sich um sich selbst drehen, ist jedoch zumeist gefangen in der Perspektive der jeweilig Beobachteten. Bessing zeigt, indem er geschickt vom Blickwinkel einer Figur zum anderen springt, die Abhängigkeiten, Bedingtheiten und gegenseitigen Beschränkungen auf, die sich zwischen den Personen ergeben: Gumbo liebt Barbara, die verzweifelt an ihrem Arbeitgeber Francis Gurt, der ist genervt von seinem Assistenten und Lover, dem Ayurveda-Anhänger Norman, verachtet darüber hinaus Alfred und vergöttert seine Kubadogge Rupert. Doch mit diesen scheinbar witzigen Accessoires und Gegebenheiten der trendigen Werbewelt tun sich Abgründe auf, die nicht schockieren, aber in ihrer Darstellungsart an eine wahrhaft böse Ausgabe moderner Gesellschaftskritik erinnern: Bret Easton Ellis' American Psycho. Teil einer Gruppe von Menschen zu sein, die sich über ihre Kleidung, über ihre Lieblingsrestaurants und über ihren Einrichtungsstil definieren, merken, dass dies nicht alles sein kann, und die sich paradoxerweise masochistisch an diesem Zustand freuen: Das haben Ellis' Patrick Bateman und Bessings Gumbo gemeinsam.

Bateman flieht in Mord und Perversität, Gumbo dagegen bleibt im unbefriedigten Mittzwanziger-Dasein stecken und lebt seinen Hass lediglich in der Phantasie aus. Der größte Unterschied aber: Gumbo bleibt menschlich, er ist nicht so vergewaltigt vom System, dass ihm nur noch die Grenzüberschreitung als Ausweg bleibt - er ist auf der Suche nach Liebe, Sicherheit, Halt.

Es geht, neben all den anderen Problemen, in Wir Maschine um dieses eine: Die zum Teil romantisch verklärte Sehnsucht nach einer zentralen Bezugsperson. Gumbo, sagt "Halt mich, nur ein bisschen -", nachdem trotz ihrer Trennung Barbara wieder mit ihm geschlafen hat - die einzige Szene, in der es wirklich um Sex geht. Nicht die erste Nacht seiner Beziehung mit Barbara wird detailliert geschildert, sondern der Morgen danach, die aufgehende Sonne - "wie eine Aprikose in Milch". Genau wie Gumbo ("Weit und breit ist niemand, zu dem er laufen könnte. Weit und breit kein Mensch, der ihn erwarten würde, ihm zuwinken, erwartungshungrig, glücklich, ihn aufzunehmen.") ist auch Francis Gurt auf der ständigen Suche: "Alles kann mit jedem Tag, mit jeder Minute, jeder seiner einsamen Entscheidungen zuende sein. Und wer nimmt ihn dann auf? Wer ist dann für ihn da?" Zwar ist Liebe in der jungen deutschen Literatur ein nicht leicht zu definierender Begriff, oft geprägt von hilflosem Narzissmus der Figuren, in Wir Maschine hat er eine klare Bedeutung - und zwar im klassischen Sinne: Das romantische Sich-Hingezogen-Fühlen zu einer Person, die Sicherheit einer Partnerschaft, in der man sich aufgehoben fühlt, Liebe als Lebenssinn.

Unvermittelt tauchen im Buch nicht einzuordnende bruchstückhafte, beinah surreale Versatztexte auf: Der Dialog zweier verunsicherter Menschen auf in einer nicht fassbaren Gefahrensituation, sich gegenseitig beruhigend, Halt bietend in einem dunklen, geheimnisvollen Raum.

Bessing spielt mit der Orientierungslosigkeit, die auch seine Schriftsteller-Zeitgenossen - vor allem Christian Kracht in Faserland - beschäftigen, auf polarisierende Art und Weise. Zum einen sieht Gumbo einen Ausweg in der Sicherheit der Liebe (wie auch Alfred in der schon obszön verkitschten Vorstellung von mit frischer Milch sich übergießenden Alpenmädchen das Glück zu finden versucht), zum anderen eröffnet sich ihm die absolute "Endlösung" - die Zerstörung des Systems.

Bernd, das System und Wildcard

Der, für den diese Zerstörung erklärtes Ziel ist, ist Computerexperte Bernd, ein Nerd: "Das ganze System ist kaputt [...] Ein Feuer muss her unter den Arsch dieser Welt", sagt Bernd, und sprengt einen Container in die Luft, der als Fixerstation Drogenabhängigen Zuflucht bietet. Gumbo ist überzeugt, dass Bernd krank sein muss. Und doch realisiert Bernd eigentlich nur das, was Gumbo so verzweifeln lässt. "Die verfluchte Gleichgültigkeit muss weg. Da muss eine Verunsicherung her, eine tiefe Erschütterung", so sind Bernds Worte. Auch Francis, der selbstherrliche und eigensinnige Chef von Wildcard kommt bei einer Explosion ums Leben - in einer Dönerbude, beim Koks kaufen. Bessing bedient sich dankbarer Metaphern. Auf diesen Supergau folgt: Ein verlassenes, leerstehendes Theater. Eine Stimme ist zu hören, suggeriert ein Gesicht, ist aber nur Echo und spricht aus der Zukunft. Ganz Hamburg liegt in Schutt und Asche, ist schwarz, alles ist gesprengt: "Wir konnten doch nie etwas anderes, als in unserem Grauen zu leben", erklärt die Stimme die Tat: "Uns geht es endlich so, wie wir uns immer fühlten."

Es ist sicher nicht die Vision Gumbos, dazu ist er noch viel zu sehr Teil des Systems, des Beziehungsgeflechts von Wildcard, es ist vielmehr der konsequente Schluss des Autors, den er aus der oberflächlichen Heuchelei der Gesellschaft zu ziehen gezwungen ist. Das, was die Stimme im Theater erklärt, ist vielleicht die Tat Bernds, auf jeden Fall die zynischste aller Folgerungen: Wenn die Welt schlecht ist, muss sie auch so aussehen - verbrannt, kalt, schlecht. Gumbo ist unzufrieden, Gumbo lebt in einer Welt, die mit Statussymbolen Reichtum und Glück vorgaukelt, aber - Gumbo tut nichts dagegen. So tough sein wie Barbara, die wohl einzig wirklich im Rahmen zufriedene in ihrem Job, erfolgreich aufsteigen in den Wildcard-Himmel, obwohl er merkt, wie sehr alles falsch läuft, das will Gumbo. Doch er schafft es nicht, und merkt es: "Mein ganzes Leben werde ich gefahren, denkt Gumbo. Immer steige ich in etwas, das dahingleitet. Immer werde ich gefahren, nie bin ich am Steuer." Am Ende ist er genau das, was er am Anfang war: von niemandem geliebt, ein Werbefuzzi, ein schlechter noch dazu, ein Rädchen im Getriebe. Die Romanfigur verändert sich nicht, noch nach der düsteren Theater-Apokalypse tritt ein unveränderter Gumbo zwischen Barbour-Jacken-Pärchen an der Alster auf und hat nichts verstanden.

So wie die Determinierung Gumbos als Getriebe-Rädchen zum Ende hin eindeutiger wird, erklärt sich immer mehr der Titel: Wir Maschine. Gerätschaften werden aktiviert. Barbara hat den roten Knopf neben ihrem Bett - in der ehemaligen Wohnung eines Springer-Chefredakteurs lebend, diese ausgediente Notfallleitung aus RAF-Zeiten, zum Auslöser für eine Apparatur umbauen lassen: Eine über dem Bett installierte Art Höhensonne, die den Beleuchteten in gleißende Parallelwelten beamt. Auch Gumbo lässt sie im Schlaf davon bestrahlen.

Das ganze Buch ist durchzogen von Technik assoziierenden Bezeichnungen, wie etwa Gumbos emotionales Gespür: "Ein Sensorium mit nanometrisch feinen Verästelungen." Alles wird immer mehr maschinisiert: Barbara werden auf dem zentralen Jil-Sander-Fotoshooting Knete und Draht statt Kleider geliefert, Francis Gurt wird im Porno-Kino selbst zur Maschine: "Francis' Gesicht ist leer, er ist selbst zu einer Leinwand geworden." Alfred, der einst glorreich in den 70ern die Weißer-Riese-Werbekampagne erfunden hatte, stürzt sich schließlich in den Münchner Isarauen in etwas: eine glitschige, schleimige, oberflächlich menschliche und doch künstlich dynamisierte Kugel, er krabbelt mitten hinein und wird nicht mehr gesehen.

Am Ende steht die Botschaft: Alles ist Maschine - der Mensch, weil er wie auf Knopfdruck auf die Befehle seiner Umwelt reagiert (Gumbo, der abhängig von der Wildcard-Hierarchie seine Arbeit tut), sowie die Menschheit selbst, weil sie, genau wie eine riesige Maschine, jedes einzelne Rädchen sich nimmermüde drehen lässt, immer wieder um sich selbst.

Sprache und Stil

Joachim Bessing, der 31-Jährige Autor aus dem baden-württembergischen Bietigheim, über den es kaum mehr Informationen gibt, als dass er 1999 das "popliterarische Quartett" Tristesse Royale herausgab, verwendet eine Sprache, die teilweise übertrieben poetisch klingt. Die wörtliche Rede seiner Dialoge ist besonders zu Beginn so gestelzt, dass das Lesen schwer fällt. Bessing konstruiert einen Mix aus Umgangssprache und literarischer Finesse, der erstaunlich gut gelingt, auch wenn es zuweilen holpert und hakt und man sich durch überfrachtete Sätze kämpfen muss. Alliterationen ("Ein Lappen Lachs") erscheinen nicht immer elegant, und vor allem die Verwendung von Metaphern geschieht allzu häufig auf platte Art und erscheinen dilettantisch. Die Idee, wie schon beschrieben das 20. Kapitel auf eine verwaiste Theaterbühne zu verlegen, ist zwar reizvoll, erinnert aber allzu abgeschmackt an Shakespeares "All the world's a stage, and all the men and women merely players". Dass kein Schauspieler, sondern nur die Stimme, und nicht einmal das - nur ihr Wiederhall zu hören ist, ist wiederum genial. Nichts stellt die hohle Selbstpräsentation der Wildcard-Menschen, die sich ausschließlich über (Selbst)reflexion definieren können, so zur Schau und bloß, wie eine dem visuellen entzogene und noch dazu künstlich verzerrte Darstellung.

Dass Bessing mit seinen Schriftstellerkollegen Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre Berührungspunkte hat, ist deutlich. Auch er scheint in Richtung Bayern auf den Spuren von Thomas Mann zu sein: Alfred zieht von Hamburg nach München: "Eine Reise ins Licht [...] Wo hat Alfred das nur wieder her? Von Thomas Mann? München leuchtet." An den Autor von Soloalbum erinnert die Einflechtung von Songtexten, die mit der Seelenlage der Figuren verbunden werden, sowie stilistisch sehr ähnlich ein vom Plot völlig unabhängiger Einschub, der Verweis auf Air als die beste Band aller Zeiten und die zeilenlange Begründung dafür. Musik ist wichtig für das Lebensgefühl in Wir Maschine, schon erkennbar durch das vorangeschickte Zitat nach Bryan Ferry: In every dream home a heartache.

Der Schluss

Bessing teilt wie Bret Easton Ellis ein in In- und Outgroups. Während Nerd Bernd in einem Band-T-Shirt seine mit Hundekot besudelten Füße auf Gumbos Hocker packt, öffnet der eine Hemden-Rechnung von Helmut Lang - die Fronten sind geklärt. Die Gespräche der Werbeleute in der Stamm-Osteria drehen sich um brancheninterne Klatsch-Geschichten, etwa die Reaktionen von Ex-Bunte-Chef Franz-Josef Wagners, als sein noch gar nicht erschienenes Magazin Korsika vom Burda-Verlag 1996 eingestellt wurde. Auch dies erinnert an Szenen in American Psycho.

Vielleicht tut man Joachim Bessing Unrecht, wenn man immer wieder Vergleiche seines Debut-Romans mit anderen, zeitgenössischen Werken zieht. Wir Maschine ist kein Plagiat, und auch kein Versatzstück bereits publizierter Einfälle, aber dass so offensichtliche Einflüsse und Parallelen zu finden sind, ist sicher die Schwäche eines nicht herausragenden Debut-Romans. Er ist geprägt von der Orientierungslosigkeit Zwanzig- bis Dreißigjähriger, die, satt von den Annehmlichkeiten ihres Lebens auf der Sinnsuche sind. Was ihn unterscheidet von so manch seit 1997 erschienenem Buch, ist die auf die minimalistisch heruntergebrochene Wahlmöglichkeit zwischen Gut und Böse, zwischen Liebe und Hass, Sicherheit und totaler Zerstörung.

Wer Wir Maschine gelesen hat, sich nicht von den Roman-Namen Gumbo, Francis Gurt, Alfred oder Walter hat abschrecken lassen, würde sicher gerne nach dem 19. Kapitel, der Theater-Szene, das Buch zuklappen und sich ans Nachdenken machen. Was, erinnert man sich an das Leseerlebnis manch anderer sogenannter Romane (und wieder das Beispiel Faserland), durchaus bemerkenswert ist - selten ist die Hintergründigkeit des Textes so offensichtlich wie hier.

An dieser Stelle aber macht Bessing einen Fehler, er hängt ein sinnloses, inhaltlich unverständliches Kapitel über einen die Geschehnisse völlig unbeschadet überstanden habenden Gumbo an und verbaut dem Buch damit jegliche Chance. Er kommt in Konflikt mit der alten Gattungsbezeichnung Roman, die immerhin von einer Entwicklung der Hauptfigur ausgeht. Er hinterlässt den Leser in völliger Ratlosigkeit, der, noch völlig erschüttert von der pessimistischsten aller Systemüberwindungen, jetzt wieder mit der Sinnlosigkeit Gumbo'schen Lebens konfrontiert wird. Aber um damit den Nihilismus allen Tuns anprangern zu wollen, also Anfang und Ende des Teufelskreises, das Gefangensein Gumbos in der Heuchelei des Systems, dazu ist das letzte Kapitel zu schwach.

Was bleibt, ist Unverständnis über die aussagelosen letzten Seiten und der Eindruck, ein eigentlich recht gutes Buch gelesen zu haben, das sich mit einem alten Thema zwar nicht auf bahnbrechende Art auseinandersetzt, doch zumindest den Willen zeigt, etwas anders zu machen - auch wenn dies nur ansatzweise gelingt.

[Joachim Bessing: Wir Maschine. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2001, 205 Seiten, € 19,90]

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