"Willkommen im virtuellen poetischen Netz der Lyrikmaschine. In ihrem n-dimensionalen Raum simuliert sie die assoziative Verknüpfung der poetischen Formeln im Gedankenuniversum des Dichters. Klar?" (Begrüßungsworte von Martin Auer zu seiner Lyrikmaschine)
Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit Martin Auer seinen
eigenen Ansprüchen an die Lyrikmaschine gerecht wird. Hierbei
hangeln wir uns an seinen Ausführungen auf der Startseite
entlang, folgen ihm und irren mit ihm auf den gelegten Pfaden
(links) seines labyrinthischen Gedichtsnetzes.
Die Lyrikmaschine ist im Internet unter der URL http://ourworld.compuserve.com/homepages/Poetry_Machine/lyrikmas/_start.htm zu finden.
Die Startseite formuliert im Wesentlichen vier Thesen, die auf
seine Grußworte rekurrieren und sie untermauern sollen.
1. Das virtuelle poetische Netz läßt sich in allen Richtungen erforschen. Umwege sind unumgänglich, Irrwege die kürzeste Verbindung zwischen je zwei Gedanken, Auswege Täuschungen.
2. Hast ist beim Durchwandern des poetischen Netzes nicht angebracht. Jeder Text kann von mehreren anderen Texten aus erreicht werden. Je nachdem mag ein Text auch andere inhaltliche Facetten zeigen, eine andere Geschichte erzählen.
3. Ebenso kann ein Versmaß, je nachdem, von welchem anderen Versmaß aus es angesteuert wurde, einen anderen Klang entwickeln, kann ein Reimschema andere Bedeutungen signalisieren. (Reime sind übrigens die älteste Vorform des Hyperlinks, Verklammerungen zwischen Gedanken.)
4. Die Lyrikmaschine bietet mehrere Einstiegsmöglichkeiten in das poetische Netz. Ein Ausstieg wird nicht zur Verfügung gestellt. Es gibt keinen Endpunkt, keine Schlußpointe. Da es nicht so einfach ist, festzustellen, ob schon alle Knotenpunke des Netzes besucht wurden, wird das Immer-wieder-Lesen der einzelnen Gedichte gefördert. Denn nur so können bisher unentdeckte Räume des Netzes aufgestöbert werden. Das Universum des poetischen Netzes ist zwar nicht unendlich, aber doch unbegrenzt.
Es wird schließlich dem User noch die Möglichkeit gegeben per e-mail (Postmaschine) eigene Kommentare an den Autor zu senden. Der Autor erklärt sich auch gerne dazu bereit seine "Lyrikmaschine durch weitere Links in ein größeres poetisches Netz einzuknüpfen".
Analyse:
Die Lyrikmaschine ist im Grunde eine Simulationsmaschine, die
das poetologische Verfahren mit Hilfe des Hyperlinks veranschaulichen
und erleichtern will. "Assoziative Verknüpfung"
sind demnach die Links, die zum "Gedankenuniversum des Dichters"
führen sollen. Es bleibt hier jedoch offen, was mit dem Begriff
des "Dichters" gemeint ist. Ist hier er selbst gemeint,
der Schöpfer der Lyrikmaschine, Martin Auer, oder irgendein
beliebiger Dichter oder sogar der User der Lyrikmaschine?
Die erste These formuliert die Möglichkeiten, die dem User
beim Durchstöbern, Durchwandern, Durchklicken des "poetischen
Netzes" gegeben werden. Der n-dimensionale Raum, der das
Internet darstellt, läßt sich in allen Richtungen "erforschen".
Umwege seien hierbei unumgänglich, Irrwege die kürzeste
Verbindung zwischen je zwei Gedanken, Auswege Täuschungen.
Mit Erforschen ist das Durchforsten (Klicken) des poetischen Netzes
der Lyrikmaschine gemeint. Daß der User dabei hin und her
klicken muß, ist Voraussetzung, und je nach Perspektive
ein Umweg oder Irrweg, der aber auch zu einem Ziel führen
kann (die kürzeste Verbindung zwischen je zwei Gedanken).
Auswege sind ausgeschlossen. Man kann dem Gedankennetz der Lyrikmaschine
nicht entrinnen.
Beim Durchwandern oder Durchklicken des poetischen Netzes ist
das Verweilen und die Lektüre der Texte angebracht. Hast
ist unerwünscht. So läßt sich das ein und dasselbe
Gedicht jedesmal anders lesen, da der Eingang (Zugang) zu ihm
jeweils von der "Klickfolge" abhängig ist. Die
"Sinnkonstitution" des Textes ist somit abhängig
von der Reihenfolge, in der die Texte "durchgeklickt"
werden. Insgesamt würde so das poetische Netz eine Geschichte
erzählen wollen, nämlich die des poetischen Geistes
oder einer poetischen "Formel". Die Lyrikmaschine hätte
somit einen Prosa-Status (These 2).
Ebenso kann die klangliche Qualität eines jeden Gedichts
differieren, wiederum abhängig davon, von welchem Gedicht
aus der Link erfolgte. Die Bedeutungsebene des Reimschemas ist
nicht unbedingt in dem Text (in den einzelnen Gedichten) festgelegt,
sondern kann durch ein anderes Gedicht angereichert werden (These
3).
Die Lyrikmaschine bietet genau fünf Möglichkeiten an
das poetische Netz anzukoppeln (einzuklicken). Je nach Eingang
findet der User sich jeweils an einer anderen Stelle des Gedichtsnetzes
wieder. Von hier aus kann er die verschiedenen Gedichte "ansteuern",
durch den Dschungel mit Hilfe des Links durchhangeln, von "Liane
zu Liane" schwingen. Der Dschungel ist groß, aber nicht
grenzenlos. Der Raum ist begrenzt durch die Lyrikmaschine. Die
Klicks sind jedoch unendlich. (These 4)
Das ist so ungefähr das Ergebnis der Analyse, wenn man sich
entlang der Ausführungen von Martin Auer hangelt. Bei genauerer
- minimalistischer - Analyse der Maschine zeigt sich jedoch, daß
sich ein geordnetes System hinter dem vermeintlichen Lyrik-Dschungel
verbirgt. Martin Auer stellt genau 50 Gedichte in seiner Lyrikmaschine
zusammen, welche untereinander durch in ihrer Anzahl variable
Links verbunden sind. Hierbei stellt man fest, daß, ungeachtet
welchem Link oder Linkkombination gefolgt wird, der User auf ein
bestimmtes Gedicht hingeführt wird, welches als Schlußgedicht
jedes möglichen Zyklus angesehen werden kann. Es unterscheidet
sich von den anderen Gedichten sowohl in formaler als auch inhaltlicher
Sicht (Der Reim könnte ein Anlaß sein, einen beliebigen
Text als "literarischen" zu identifizieren. Doch die
Gleichung "wo Reim, da Lyrik" stimmt wohl doch nicht
in dieser einfachen Weise. Das Wahrnehmen eines Reims ist noch
kein zwingender Anlaß, einen Text als einen poetischen Text
zu kennzeichnen.), als daß es zum einen nur aus Fragesätzen
besteht, die nahezu zusammenhanglos aneinandergereiht werden und
keine Antworten erwarten, zum anderen auch der Links entbehren,
die den User auf der virtuellen Lyrikreise weiterführen würde.
Während also dem Anspruch auf zusammenhängende Lektüre mit dem Ziel der Bildung neuer prosaähnlicher Texte durch Verlinkung der einzelnen Gedichte nachgekommen wird, muß dem Autor in bezug auf das Ausschließen von Endpunkten oder Schlußpointen widersprochen werden. Der Text ohne Links stellt hierbei einen Endpunkt dar, die scheinbare Unbegrenzheit des poetischen Netzes wird widerlegt, Anfang und Ende der virtuellen Zyklen erkannt.
Folgt man der URL-Adresse im Browser http://ourworld.compuserve.com/homepages/Poetry_Machine/lyrikmas/lm(xyx).htm, so läßt sich genau verfolgen, daß die Gedichte chronologisch aufgebaut sind und zu einem Endpunkt führen. Signifikanterweise ist es genau das 50. Gedicht. Dieses Gedicht hat keine weitere Verlinkung.
Die Verlinkung mit Textnummer ist wie folgt zu lesen:
Verlinkung 1 => Textnummer (xyz)
Z.B.: Der erste Text hat vier Verlinkungen. Die erste Verlinkung führt zu Textnummer 2,
die zweite zu Textnummer 6 usw.
URL/
Textnummer
Textbeginn
(Eingang)
Verlinkung
Verlinkt
mit Textnr.:
001
Ich bin eine
Nixe, sagt sie (I)
2,6,3,7
002
Sie geht nicht
mehr vor die Tür
4,6,9
003
Wenn die Engeln
schlafen gehn
10,9
004
Was wirst du
mir noch sagen,
22,19,20
005
Auf dem Planeten
Mittag
12,22
006
Als sie siebzehn
war, zog sie mit zwanzig Strohhüten und ihrem
Meerkatzenmännchen Ezra unter einen Stadtbahnbogen und blieb
da ziemlich lange.
11,12
007
Kindergeschenke
Ein Stein wie ein Vogelei,
25,8,26
008
Der Regen strömt.
29,23,27
009
Gasthof mit
eigener Fleischerei.
14,15
010
Geh schlafen,
Anna-Marie,
(auch als Lied mit RealPlayer abspielbar)
14,47,16
011
Möchten
Sie ihren Schuh für einen Fisch eintauschen? (II)
13,16,23
012
Hure im November,
(auch als Lied abspielbar)
3,13,17
013
Der Mond ist
heute viel zu rot,
(auch als Lied abspielbar)
24,50,5
014
Herbie ist
immer ein wilder Hund gewesen.
12,5
015
Ihre Kinderseele
hat sie aufbewahrt
10,2
016
Komm, schenk
mir Dinge,
17,14,18
017
Herr Zampolli
sagt' mir neulich erst, er schätze mich.
1,6
018
Vertrocknetes
liegt hier,
4,8,11
019
Wir haben deine
Brüste
30,36
020
Sie haben keine
Bäume gepflanzt,
1,21
021
Der Tag vergeht
wie ein Fieber. (III)
28,7
022
Sie waren so
stolz gewesen.
27,29,8
023
In dieser Sprache
gab es kein Wort für Liebe.
31,30,39
024
Es werden keine
Häuser mehr sein,
22,23
025
Aus dem Schatten,
34,46
026
Wenn ihr es
wolltet,
41,21
027
Der König
zählt seine Soldaten.
11,4,41,28
028
Allein hing
er
33,3
029
Wenn die Korallen
sterben,
24,26
030
Ich habe sie
so geliebt.
39,19
031
Wir waren zusammen.
(IV)
33,32
032
Kaum ist es
Frühling worden
44,37,47,36
033
In deiner Haut,
38,37
034
Es dringt ein
Lärm in die Enge herein
35,32
035
Die Mauern
gesprungen,
43,34
036
Wer fährt
jetzt deinen Wagen,
45,48,24
037
Mein Mund war
nie so trocken,
46,45
038
Sie hatten
sie auseinandergenommen
40
039
Wer dich in
Seide gehüllt hat,
16,17
040
Sie gibt sich
auf.
(auch als Lied abspielbar)
34,41
041
Wir werden
dir nichts geben. (V)
42,36
042
Die mit Sicheln
mähen
46,28
043
Und wenn ich
einmal stürze,
47,20,42
044
Und doch, ich
möcht noch einmal auf die Reise gehn
45,43,31
045
Ferngespräch
aus Canberra
(auch als Lied abspielbar)
5,35
046
Dreizehn Stöcke,
40,42
047
Singen leise
Wasser,
(auch als Lied abspielbar)
48,50,49,1
048
He, lassen
Sie mich mal die Welt retten!
20,49,13
049
Es ist nicht
viel an ihr dran,
(auch als Lied abspielbar)
38,15
050
Darf ich mal
Ihre Sonnenbrille probieren?
-
Herr Auer, darf ich Sie etwas fragen: Was macht die Nixe in der Sardinenbüchse?
Was
eine Rose ist, wissen Sie ebensogut wie ich, es ist nichts
weiter als Vertrieb. Wenn das aber wahr ist, so beschwer ich mich
nicht mit Dimension oder mit Akademietagung, Vorlesungen noch
Nachlesungen, sondern gebe schlicht und einfach Rhythmus mit jedem
beliebigen Wunder, Straßenbahnfahrschein, Überzeugung,
Holzklötze - ja da staunen Sie Bauklötze, oder mit dem
Nashorn in der Begründung oder Lehrgang, wie Sie es wollen.
Warum sehen Sie sich nicht das Modem an, denn das ist gratia sufficiens.
Suchen Sie nicht genial irgendeine Spätausgabe von Identity, fragen Sie nicht nach Seelenstimmungen, sondern
suchen Sie trotz des ungewöhnlichen Materials, den Counter in Zärtlichkeit und
Dauer zu erkennen. Mit Kommunikationsdienst hat das ebensowenig zu tun wie dem modernen Wettbewerb.
Dafür ist es die Spotwerbung aller Kunst, das heißt,
jedes Gate aller Zeiten mußte diese primäre Werbemillion
erfüllen, Pappelmusensalat zu sein, sonst war es nicht Kunst.