Dada Zürich - ein internationales, radikal politisch-künstlerisches Projekt


Der Futurismus ist eine Vorkriegs-Avantgarde, er hat den Krieg, den er bejaht, nicht zur Zeit seiner Manifestation erfahren. Kontrastprogramm dazu: das Projekt Dada, 1916 mitten im Krieg ins Leben gerufen, in der Zürcher Spiegelgasse, im Cabaret Voltaire. In einer Zeit extremster Nationalismen hatte Hugo Ball den Freigeist Voltaire zum Namenspatron seines Kabaretts gemacht. Die Künstlerkneipe wurde zur Bühne einer mehr oder minder festen Gruppe von emigrierten Künstlern. In nur wenigen Wochen war das Dada-produzierende Cabaret in Zürich als literarische Institution populär. Abseits vom Krieg, breitete sich Dada-atmosphäre aus: "In einem kunterbunten, überfüllten Lokal sind einige wunderliche Phantasten zu sehen, welche Tzara, Janco, Ball, Huelsenbeck, Emmy Hennings und meine Wenigkeit darstellen. Wir vollführen einen Höllenlärm. Das Publikum um uns schreit, lacht und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wir antworten darauf mit Liebesseufzern, mit Rülpsen, mit Gedichten, mit ‚Muh, Muh' und ‚Miau, Miau' ..." (Erinnerungen von Hans Arp). Diese frühen "Verstehen-Sie-Spaß?-Abende" dienten aber nicht nur der puren Unterhaltung, sondern sie sollten vor allem "über den Krieg und die Vaterländer hinweg an die wenigen Unabhängigen erinnern, die anderen Idealen leben", wie Hugo Ball im Vorwort zur ersten Zürcher Dada-Publikation, der Anthologie "Cabaret Voltaire", schrieb. Bezeichnenderweise erschien diese, um internationalen Charakter zu beweisen und national-emotionale Grenzen zu durchbrechen, in einer deutschen und französischen Ausgabe. Ausdrücklich bedankt sich Ball für die "Beihilfe unserer Freunde in Frankreich, Italien und Rußland." "Dada" war zum ersten Mal gedruckt, "Dada" als Reklamewort für eine Lachkultur der radikalen "Selbstkritik der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft" publik gemacht. Ursprünglich war das Wort in Zürich bekannt als Markenname für "haarstärkendes Kopfwasser und Lilienmilchcreme, Produkte einer Zürcher Niederlassung der Firma Bergmann und Co. Andere sagen, "Dada" sei aus der Kindersprache entnommen. Die zahlreichen Erklärungen zu Ursprung und Urheberschaft führten zu einem Namensmythos. Dabei waren die Dadaisten selbst die eifrigsten Förderer, indem sie daraus einen artistischen Wortpoker machten. "Dada ist eine neue Kunstrichtung. (...). Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. (...). Dada ist die Weltseele. (...). Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. (...). Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. (...). Dada ist das Herz aller Worte. ...", heißt es (auszugsweise) in dem dadaistischen Eröffnungsmanifest von 1916. Das Wort stand in den ersten programmatischen Äußerungen der Zürcher Gruppe für eine neue Kunst, eine besonders zur Abstraktion tendierende Kunst, so wie diese im Expressionismus, Futurismus und Kubismus entwickelt wurde: die Grenzen der klassischen künstlerischen Normierungen zu sprengen. Doch Dada war dabei stets positionslos, also nicht auf ein bestimmtes Ideal festgelegt, und mit Selbstironie, Spott und Maskerade durchtränkt.
Das Gelächter Dadas und die Internationalität der Bewegung, läßt sich aus dem Hintergrund ihrer Mitglieder ableiten, die sich alle vor der ausbrechenden Kriegsmaschinerie, funktionierend durch Kriegspropaganda und -begeisterung, aus ihren Vaterländern in die neutrale Schweiz zurückgezogen hatten, wo sie sich als Opposition gegen den Krieg zusammenschlossen. Diese Anti-Kriegshaltung beschreibt Richard Huelsenbeck in seinem Aufsatz "En avant Dada": "Ball und ich kamen aus Deutschland, Tzara und Janco aus Rumänien, Hans Arp aus Frankreich. (...). Wir hatten alle keinen Sinn für den Mut, der dazu gehört, sich für die Idee einer Nation totschießen zu lassen, die im besten Fall eine Interessengemeinschaft von Fellhändlern und Lederschiebern, im schlechtesten eine kulturelle Vereinigung von Psychopathen ist, die im deutschen ‚Vaterlande', mit dem Goetheband im Tornister auszogen, um Franzosen und Russen auf Bajonette zu spießen." Für die Dadaisten ist die Vergangenheit sinnlos geworden. Sie standen vor der Aufgabe, mit einer Wirklichkeit der totalen Entfremdung fertig zu werden. Das Lachen Dadas war darum stets auch ein Lachen über die zugrunde gerichtete Ordnung, war Hohn über eine bürgerliche Vorkriegsordnung mit bombastischem Gehabe und totalitärem Geltungsdrang, die solche Ausgeburten wie Ideologiekampf und Krieg hervorgerufen hat. "Gott ist tot. Eine Welt brach zusammen. Ich bin Dynamit. Die Weltgeschichte bricht in zwei Teile. Es gibt eine Zeit vor mir. Und eine Zeit nach mir. Religion, Wissenschaft, Moral - Phänomene, die aus Angstzuständen primitiver Völker entstanden sind. Eine Zeit bricht zusammen. Eine tausendjährige Kultur bricht zusammen ...", bricht es aus Ball in seinem am 7. April 1917 in der "Galerie Dada" gehaltenen Vortrag über Kandinsky aus. Das Ringen um eine neue Lebensauffassung, um eine neue Weltanschauung, einen neuen Geisteszustand wird auch in Tzaras "Manifest Dada 1918" propagiert, indem das Ich verabsolutiert wird.
Um die Sinnlosigkeit, in der die Welt aufgeht, zu inszenieren, verkörperten die Dadaisten ihre Poesie in Form von Masken, Tänzen und Lautgedichten, um nicht Sprache, sondern reinen Ausdruck freizusetzen.
Gadji beri bimba
Glandridi lauli lonni cadori
Gadjama bim beri glassala
Glandridi glassala tuffm i zimbrabim
Blassa galasssasa tuffm i zimbrabim ..
(Aus Hugo Balls: Ein Krippenspiel. Bruitistisch; 1916)
Dabei versuchten sie nicht nur Geräusche nachzuahmen, wie z. B. die futuristische Zeichenproduktion von Marinetti, sondern die Sprache selbst in ihrer hierarchischen Grammatik des Sinns und dessen Organisation in der Schrift anzugreifen, um Unsinn, "nicht ohne Sinn zu produzieren", wie Hans Arp betont. Indem das Wort "Dada" alles sein kann, suchten sie der Bedeutung eines jeden Wortes den kulturellen Wert zu rauben. So schreibt Ball rückblickend in "Die Flucht aus der Zeit" 1927: "Der Genuß jeder Ausschweifung, so auch des Krieges, beruht auf einer Rache der Kultur." Aber vor allem entlarvten die Dadaisten die Sprache als Hauptvehikel der damaligen Kriegspropaganda, dieser sprachlich gut geölten Kriegsmaschine. Sie durchschauten die kollektive Bedeutungsverkettung des kulturellen Zeichensystems und dekonstruierten die Kriegssprache durch ihre semiotischen Eingriffe. Das Lautgedicht erhält als ein Ausbruch aus den Regeln und Normen der Grammatik seinen Sinn. Raoul Hausmann artikuliert in diesem Zusammenhang: "Wenn man schon die Konventionen brechen will, darf man nicht ins Konventionelle fallen." Die Dada-Bewegung in Zürich war radikal revolutionär - auch gegen die Schriften der Pazifisten, Sozialisten, Expressionisten, konsequente Kritik an der litterature engagé; wie z.B. Pfemferts "Aktion", die in ihren heftig gegen den Krieg gerichteten Schriften dem konventionellen Sprachkodex der alten Kultur weiterhin verhaftet blieben. Die Dada-Produktion versuchte mit einer Anti-Ästhetik und Anti-Lyrik den Verstand zu durchbrechen oder in Tzaras Worten "die Gehirnschubladen und die soziale Ordnung zu zerstören", denn das Projekt Dada war ein Politikum in sich, das, so konstatierte Ball, "keiner weiteren Politisierung mehr bedürfe." Die dadaistischen Gegenmythen, die Versuche eines neuen Anfangs nach der tabula rasa, stehen in einer dialektischen Beziehung zu den Mythen der alten Kultur und deren Zerstörung. Die Glorifizierung der Logik und ihr Produkt, der technologische Fortschritt, war für die Dadaisten der Grund für den Zusammenbruch der europäischen Kultur.
Die Dada-Bewegung in Zürich kann daher als spezifisch historische Reaktion auf den Ersten Weltkrieg und seine zerstörerische Dynamik verstanden werden. Die semiotische Abstraktion der Dadaisten, kann als Vorspiel zum kulturanalytischen Ansatz späterer (Post-) Strukturalisten genommen werden. Aber die Verschrottung des kulturellen Sprachsystems und dessen Sinngehalts, verfehlte ihr Ziel als politische Waffe gegen den Krieg, da sie eine Kommunikation unmöglich machte. Deshalb hat sich Dada selbst im wesentlichen auf eine neue Spielart innerhalb des Kunstkonzepts der Moderne reduziert.

Marijana Gersic