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Neue und doch alte Erzähldimensionen

Wer oder was erzählt uns die Geschichte von Riven?

Riven nimmt uns von der ersten Sekunde an multimedial in Beschlag: Bereits in den ersten zwei Minuten haben wir einen Erzähler, ein Buch und ein Video im Buch, durch das wir anschließend in die Welt von Riven reisen. Hier wird das zu erreichende Ziel, also auch das erwünschte Ende unseres "Romans" skizziert: Rette Riven vor dem bösen Herrscher! Aber das ist noch nicht alles. Wir erahnen das Schicksal von Riven und wünschen das Geheimnis zu entschlüsseln.
Und hier verschwindet der Erzähler, wir müssen uns den Weg also alleine suchen und befinden uns inmitten eines Labyrinths aus Rätseln. Mit (fast) allen Sinnen tasten wir uns durch die Welt und stehen dabei einer ganzen Reihe unterschiedlicher Formen von "Text" gegenüber. Diese Formen können visuell oder akustisch wahrgenommen werden. 
Die visuelle Komponente erscheint zunächst als Text im klassischen Sinne, der dem Spieler am Anfang der Geschichte vom Erzähler in Buchform überreicht wird. 
Neben diesen "normalen" Büchern existieren auch "lebende" Bücher, die in vertonten Videosequenzen Informationen zur Geschichte liefern. 
Den größten Anteil an der visuellen Informationsgewinnung nimmt die szenische Gestaltung der Spielwelt ein, die aus einzelnen 
Bildern besteht, die teils statisch, teils beweglich sind.  Die Navigation durch die statischen Bilder erinnert an bilderbuchartiges Umblättern, wodurch ein "Daumenkino-Effekt" entsteht. Dieser wird noch verstärkt, sobald man sich in der Riven-Welt immer besser zurechtfindet, sich immer schneller durchklickt und so die einzelnen Bilder fast zu Filmsequenzen zusammenschmelzen lässt. 
Die bewegten Bilder sind Animationen der Bilderbuchbilder, in denen einzelne Teile der statischen Szenen beweglich werden. Teilweise sind diese Animationen reine Multimediaeffekte zur Verstärkung der dreidimensionalen Illusion, teils sind sie notwendiger Bestandteil der Handlung (z.B. sich öffnende Türen, Aufzüge). 
Zusätzlich erweitern  vereinzelte Videosequenzen die Geschichte um eine multimediale Tiefe, wobei der Spieler nicht in das Geschehen eingreifen kann. 
Die Übergänge von Videosequenz (passives Zusehen des Spielers) zu statischen Bildern (Spieler muß handeln) sind überaus fließend, wodurch für den Spieler die Illusion entsteht, Teil  des Films zu sein (die letzte Einstellung der Videosequenz wird eingefroren,  man ist gezwungen aktiv zu werden, sich weiterzuklicken). 
Die akustische Komponente des Spiels besteht aus Sprache, Musik und Geräuschkulisse. Nur zu Beginn und am Ende der Geschichte hat die Sprache dieselbe informelle Funktion wie normal lesbarer Text: Sie ist verständlich und gibt genaue Auskunft. Die Sprache der wenigen Bewohner von Riven hingegen ist - ebenso wie ihre Schrift - unverständlich, durch ihren mystischen Klang unterstreicht sie die geheimnissvolle Atmosphäre dieser Welt. Dies gilt auch für die Musik, die Filmqualität aufweist: beruhigende Klänge gehen teils über in Naturgeräusche, teils in aggressive mechanische Klänge oder sphärische Harmonien. Neben dieser stimmungsbildenden Funktion sind jedoch auch vereinzelte Geräusche oder Klänge von informativem Gehalt und nehmen eine Schlüsselstellung beim Lösen diverser Rätsel ein. 
Die innovative Erzählform von Riven entsteht also durch die Kombination bekannter Erzähldimensionen (Text/Sprache) und multimedialer Elemente (Video/Sound), die sich zu einem Gesamtbild zusammensetzen, das mit mehreren Sinnen erfasst werden muß. Dies setzt voraus, daß sämtliche Formen der Darstellung als gleichberechtigt angesehen werden, Geräusche sind nicht ausschließlich Kulisse, Text ist nicht immer lesbar, Sprache wird mehr erfühlt als verstanden. 
Ein Teil der Geschichte ergibt sich durch passiven Informationsgewinn, das heißt, der Spieler erfährt Bruchstücke der Handlung durch den Erzähler, durch Videosequenzen und Geräusche. Der Hauptanteil der Handlung entsteht jedoch durch Aktivität des Spielers: Der Spieler wird ständig vor Entscheidungen gestellt , die jeweils neue, unterschiedliche Erzählstränge schaffen. Er übernimmt die Funktion des Erzählers und wird scheinbar zum Schöpfer der Handlung. 
 

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