Claudia Klinger Orkus
So zog es mich hinein, und ich wußte
nicht, wohin...
In den Orkus: Ins Reich der Toten.
Ins Internet: In den Cyberspace, ins Reich der Schatten.
Ein wirbelnder Sog verführt den
User zum ersten Mausklick: Und schon befindet er sich in einer
rasanten Abfolge von Bildern und Texten, die das Medium Internet
reflektieren. Der Weg in den Orkus führt an aufwendig gestalteten
Grafiken, kommentiert durch kurze Texte, vorbei. Ein Manifest
gegen unüberschaubar lange Texte im Netz.
Am Anfang eine paradoxe Gleichung, die
mit den Sinnen der Sterblichen spielt:
SEHEN, SCHMECKEN, RIECHEN, HÖREN
= STERBEN
bei dem auffälligerweise der taktile
Sinn - der entscheidende Sinn für das Navigieren im Netz
- fehlt. Vielleicht wird hier der 'Tastsinn' mit dem damit verbundenen
Berühren der Maus als technische Prothese postuliert? Der
virtuelle Zeigefinger, mit dem der User icons öffnet und
Netzlabyrinthe erforscht, scheint die virtuelle Verlängerung
der eigenen Hand zu sein, die vorgibt taktil in den Text einzugreifen.
Die 'BeGREIFbarkeit' des Textes verleiht
"Orkus" und anderer Hyperfiction eine besondere Art
der Körperlichkeit, die sich unter Ausnutzung der spezifischen
Möglichkeiten des Mediums Internet manifestiert. Der Text
wird zum Körper. Der User ist jedoch 'körperlos' unterwegs
in einem Reich der Schatten. Bewohnt wird der Cyberspace von
Schatten und lebenden Toten. Tote, die die einflussreichsten
Ideologien der westlichen patriarchalischen Kulturgeschichte
repräsentieren. Die Ideologie frisst ihre eigenen Kinder
und wir scheinen diesen kannibalistischen Akt zu genießen.
Metaphern voller verschlingender Körperlichkeit - und das
im 'körperlosen' Medium des Internets. Begehrt der User
Fleisch - "Orkus" liefert bizarre nackte Schönheiten.
Oder doch lieber Geist? Drei Prototypen - der Realitätsasylant,
der engagierte Resonanzkörper sowie der Heilige_der_letzten_Menschen
- stehen zur Auswahl. Der User klickt sich in die Gedankenwelt
des 'Auserwählten' und hat die Möglichkeit sie bis
zum bitteren Ende zu begleiten.
Ein weiterer harmloser Mausklick auf
eine Pforte, die ins Jenseits zu führen scheint, leitet
den User in die Sackgasse:
GLAUBST DU DASS DU HIER JEMALS
WIEDER HERAUS KOMMST?
Diese Frage stellt der Monitor und man
zweifelt daran. Zuletzt führt "Orkus" nämlich
in eine Suchmaschine, der man nicht mehr entkommt. Denn wenn
man den link
UND SIEH EURE 10.000 WÜNSCHE
anklickt werden einem alle denkbaren
Möglichkeiten, weiter zu surfen, präsentiert. Verleitet
einen der Sog dazu, sich in den Tiefen des Internet zu verlieren,
kann es passieren, dass man erst Stunden später wieder an
die Oberfläche, in die 'Realität' kommt. Durchaus ironisch
und selbstreflexiv beschreibt "Orkus" als Text die
Möglichkeiten des Mediums Internet und scheint die euphorische
Cyberspace-Ideologie zu hinterfragen. Doch die Macht des Programmierers
ist unhintergehbar. Aus der Suchmaschine der unendlichen Themen
gibt es kein Entkommen, der 'Zurück-button' reagiert nicht.
Gefangen im Informations-Labyrinth verflucht der User die Illusion
der unendlichen Fülle der Konsum-Virtualität.
Lust
auf den Abgrund?
Autorin: Linda
Baur
(Achtung: Dieser Text wird noch ergänzt.) |