Sabine Axthelm Unter dem Pflaster
Mit dem Motto "Unter dem Pflaster
liegt der Strand / Nimm Du den ersten Stein
in Deine Hand" fordert Sabine Axthelms "Hypertextgeschichte" Unter dem Pflaster
den User/die Userin auf, unter das Pflaster Berlins zu 'tauchen',
um in den labyrinthischen, unterirdischen Gängen der städtischen
Wasserversorgung, eine bisher verborgene
- oder gar verdrängte - Facette der Geschichte dieser Stadt
zu erkunden. Unter dem Pflaster ermöglicht dem User/der
Userin den 'Zutritt' in die Unterwelt Berlins und lässt
ihn/sie in den Verzweigungen des städtischen Kanalsystems,
das Schicksal der jüdischen Familie Hahn entdecken, die
während des 2. Weltkrieges in "der steinernen feuchten
Höhle unter der Erde" (vgl. "Unter dem jüdischen
Friedhof") Schutz vor den Nationalsozialisten suchte. Im
April 1945, vom "Bombardement der Stadt aus ihrem Versteck
unter den Pflasterwegen des jüdischen Friedhofs geschreckt"
(vgl. "Die vergessenen U-Bahnlinien unter dem Pflaster von
Berlin"), suchte die Familie, zusammen mit unzähligen
Berlinern, Zuflucht in den unterirdischen U-Bahnhöfen der
umkämpften Stadt. Sie fielen einem der letzten Befehle zur
Verteidigung der Reichshauptstadt, der die Flutung der U-Bahn-Schächte
angeordnet hatte, zum Opfer.
Die Mouse - technische Prothese der 'realen'
Taktilität des Users/der Userin - ermöglicht diesem/dieser,
den städtischen Raum Berlins zu 'greifen', so dass der Text,
der 'Stadt' thematisiert, selbst als
Stadt 'begehbar' und gleichzeitig als Körper 'erfahrbar'
wird. Die im Text dargestellte Topographie Berlins gleicht einem
menschlichen Körper: Die Stadt hat eine Haut, unter deren
"hellen, lichtübergossenen" (vgl. "Die vergessenen
U-Bahnlinien unter dem Pflaster von Berlin") Oberfläche
langsam ein aus "Rohre[n], Kanäle[n] Gänge[n]"
(vgl. "In der Unterwelt") bestehendes 'Adersystem'
sichtbar wird. Die Häuser der städtischen Oberfläche
haben 'Gesichter', deren "graue[n], splitternde[n] Stirnen"
(vgl. "Unter dem Pflaster") Zeichen der Vergangenheit
erkennen lassen. In den 'Eingeweiden' der Stadt 'wohnt' das "schweigend[e]
und schwarz[e]" (vgl. "Die vergessenen U-Bahnlinien
unter dem Pflaster von Berlin") Unbewusste, das - psychoanalytisch
gedeutet - die Thematik des Erinnerns einer Stadt sowie einer
Nation beleuchtet, die die dunklen Kapitel der Vergangenheit
in das Unbewusste verdrängt zu haben scheinen. Die unterirdischen
Verzweigungen Berlins werden als "Fangarme", als "Wucherungen,
unergründliche Metastasen", als "Auswüchse"
(vgl. "Das Labyrinth unter der Stadt") verstanden und
damit dem Bereich des Krankhaften zugeordnet, was dem Bestreben
des Vergessens und Verdrängens Tür und Tor öffnet.
Doch das Verborgene lässt sich nicht ewig verschlossen halten.
Unter dem Pflaster versucht, das "riesige dunkle
Steintier" (vgl. "Unter dem Pflaster") der Vergangenheit
zu 'wecken', um es nach all den Jahren zum Sprechen zu bringen.
Die Labyrinthstruktur der städtischen
Topographie sowie der historischen Vergangenheit Berlins thematisiert
metadiskursiv die Labyrinthstruktur des Hypertextes Unter
dem Pflaster Unter dem Pflaster], durch dessen Verzweigungen
der User/die Userin navigiert. Die Unterwelt, die es je nach
Interesse und Präferenz zu erkunden gilt, wird als "unendlicher
Wandelgang", als "endlose Schnecke, die sich unter
der Erde, unter dem Pflaster entlangzieht" (vgl. "In
der Unterwelt") bezeichnet. Auch wenn somit das Ideal einer
'ganz persönlichen' Entdeckungsreise durch die Berliner
Unterwelt suggeriert wird, darf nicht vergessen werden, dass
auch hier - wie auch in allen anderen 'abgeschlossenen' Hyperfiction-Texten
- die links vom jeweiligen Autor bzw. von der jeweiligen Autorin
gesetzt werden. Folglich ist der User/die Userin zwar frei, sich
gemäß der eigenen Bedürfnisse im Text zu 'bewegen',
jedoch nur innerhalb des vom Autor/von der Autorin vorgegebenen
Rahmens.
Lust auf eine Entdeckungsreise?
Autorin: Christine
Schraml |